Reto Bühler, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung. Foto: Vera Rüttimann

«You want it darker»

Der Tod in der Pop- und Rockmusik

Die Ausstellung «You want it darker» im Gebäude des Friedhofs-Forums beim Friedhof Sihlfeld in Zürich beleuchtet den Tod durch Alter, Tod und Suizid in der Rock- und Popmusik. Eine bemerkenswerte Ausstellung über ein selten gezeigtes Thema.

Text und Fotos: Vera Rüttimann

Niemand hatte 1979 in London mit Anton Corbijn gerechnet, dem grossen, schlaksigen Fotografen aus den Niederlanden, aber er schoss ein Jahrhundertfoto. Ein grosses Foto zeigt in der grossen Halle des Friedhofsforums vier Männer, die einen U-Bahn-Schacht hinabsteigen wollen. Einer blickt zurück: Ian Curtis, der sich zwei Wochen später, 1980, im Alter von 23 Jahren erhängte. Er war der Sänger der britischen Post-Punk-Band Joy Division, die berühmt werden sollte.


Ein anderes Foto von Anton Corbijn zeigt zwei schwarz vermummte Männer vor einem Schachbrett. Ihr Blick ist finster. Es sind Dave Gahan und Martin Gore. Andrew Fletcher, ein Gründungsmitglied von Depeche Mode, ist gerade gestorben.


Anton Corbijn hat sich immer wieder mit Friedhofsmotiven beschäftigt. Einige sehr ausdrucksstarke Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Ein Foto wurde für das Cover von Art of Noise verwendet. Diese Fotografien gehören zu den Exponaten der Ausstellung «You Want It Darker», die in einem klassizistischen Haus aus dem Jahr 1877 gezeigt wird, das Teil des Haupteingangsportals des Friedhofs Sihlfeld ist.


Wie umgehen mit Tod und Vergänglichkeit?

Nur wenige Wochen vor seinem Tod am 7. November 2016 veröffentlichte der kanadische Sänger Leonard Cohen das Album «You Want It Darker». Jede Textzeile klang wie ein Abschied. Dieses Album inspirierte Reto Bühler, den Leiter des Friedhof-Forums der Stadt Zürich, zu dieser Ausstellung. Zuvor fragte er sich zusammen mit dem Berliner Kurator Max Dax: Wie gehen Künstler:innen, die ein gewisses Alter erreicht haben, mit ihrer Vergänglichkeit um? Seit mehr als zehn Jahren setzt sich das «Büro für die letzte Reise» einmal im Jahr künstlerisch und überkonfessionell mit Sterben und Tod auseinander.


Alterswerke im Regal

Merken die Sänger, wenn der Tod oder die Krankheit näher rücken? Wie verändert dieses Bewusstsein die Kunst des Liederschreibens? Zu hören ist das im Arbeitszimmer von Reto Bühler. Dort steht ein Plattenspieler. Platten von verstorbenen Musiker:innen wie Leonhard Cohen («You want it darker») und noch lebenden wie Depeche Mode («Memento mori») und Bob Dylan («Blood on the Tracks») liegen griffbereit. «Es gibt Platten von Musiker:innen, die sind so etwas wie ein Testament.»

Besonders beeindruckt ist er von Johnny Cashs Alterswerk «American Recordings». «Da hat er angefangen, seine eigene Sterblichkeit zu thematisieren.» Einer seiner bewegendsten Songs sei «Hurt», ein Cover der Band Naine Inch Nails.


Patenschaft für Songs

Reto Bühler und Max Dax, der diese Ausstellung kuratiert hat, machen das Thema Tod und Sterben in der Popmusik noch auf einer zweiten Ebene erfahrbar. Verschiedene Künstler:innen haben Patenschaften für einzelne Songs übernommen und übersetzen sie mit einem eigens für diese Ausstellung geschaffenen Werk. Die Skulptur «Lullaby» von Thomas Scheinitz beispielsweise ist eine intensive Auseinandersetzung mit einem der letzten Songs von Scott Walker, der auf subtile Weise das Thema Tod umkreist. «Der gelbe Kubus zeigt den Übergang vom Leben zum Tod», erklärt der Kulturmanager.

Mit Ian Curtis im Ohr

Im selben Raum gegenüber befinden sich die Werke der Serie Aérolith 1-5 von Julien Lescoeur. Sie wirken klaustrophobisch und düster. Reto Bühler weiss: «Der Pariser ist immer wieder depressiv. Wenn er seine Schübe hat, ist er kreativ. Wenn er fotografiert, hört er immer Joy Division.»

In Reto Bühlers Büro hängen zwei Näharbeiten der Zürcher Künstlerin Nora Fehr. Es sind gestickte Songtexte zu «Shine» von Joni Mitchell und zu «Lazarus» von David Bowie. «Das Stück stammt aus seinem letzten Album ‹Black Star› und handelt von seinem Tod. Es ist eines der berührendsten Todesalben der Popgeschichte».


Dead is not the End

Der Tod ist nicht das Ende, so nennt Bettina Scholz ihre geschwungene Metall-Skulptur, inspiriert durch den gleichnamigen Song von Bob Dylan. Sie setzt sich mit der Unendlichkeit auseinander. Reto Bühler dazu: «Die Arbeit zeigt, wie man in mehreren Dimensionen unendlich leben kann. Eine Zeitreise, die ins Nichts führt». In diesem Werk wird auch das brandaktuelle Thema KI und ewiges Leben aufgegriffen. «Das wäre die Hölle auf Erden. Es gäbe für nichts mehr eine Dringlichkeit», ist Reto Bühler überzeugt und fügt hinzu: «Es ist schon gut eingerichtet, so wie es ist.»
 

Zur Info:
Die von Max Dax zusammengestellte Playlist zur Ausstellung ist auf Spotify zu finden.
Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Juli zu sehen.

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