Fenster in Taizé
Foto: Geneva Moser

Sommer in Taizé

Aki-Kolumne von Geneva Moser

Endlich Sommerferien! Zeit, in die Natur zu gehen, zu lesen, unbekannte Ecken dieser Welt kennenzulernen und sich zu erholen. Aber auch: um geistlich aufzutanken. Ich freue mich, auch in diesem Sommer nach Taizé zu fahren. Die ökumenische Gemeinschaft, die zurzeit aus etwa 100 Brüdern aus 25 Ländern besteht, bedeutet mir schon lange viel. Als Jugendliche hatte ich das Glück, regelmässig nach Taizé reisen zu können. Gegründet während des Zweiten Weltkrieges, auf einem unscheinbaren Hügel im französischen Burgund, war dieser Ort schon in den 1970er-Jahren ein Phänomen: Tausende Jugendliche kamen und kommen bis heute hierher zu Jugendtreffen, um einzustimmen in die Wiederholungen der einfachen Gebetsgesänge in der Versöhnungskirche, um die etwa zehn Minuten Stille während jeder Gebetszeit zu erfahren oder auch auszuhalten.

Sie stehen Schlange, um sich die sprichwörtlich gewordenen einfachen Mahlzeiten in Plastikgeschirr abzuholen und um in Workshops und Austauschrunden ihre Sinn- und Wahrheitsfragen im Licht christlicher Überlieferung zu betrachten. Und auch, um ein Gruppengefühl zu erleben, zu reisen ohne die Eltern, unter sich zu sein. Was die Strahlkraft dieses Ortes genau ausmacht, bleibt ein Stück weit ein Rätsel. Aber kaum ein Ort ist auch ausserhalb christlicher Kontexte als prägendes spirituelles Zentrum so bekannt wie Taizé. In vielen Biografien spielt dieser Ort, diese Gemeinschaft eine wesentliche Rolle. Auch in meiner. Wenn ich nach Taizé fahre, ist es immer ein wenig, als wäre hier die Zeit stehen geblieben seit meiner Jugend. Wenig hat sich verändert: Die Zelte sind stattlicher und wetterfester geworden, die Beschilderung professioneller, die Parkplätze mehr, das Gelände noch grösser.

Aber doch, natürlich, eine Veränderung ist markant: Frère Roger, der Gründer der Brüdergemeinschaft, die den Ort trägt und prägt, hat im Jahr 2005 während eines Abendgebets einen gewaltsamen Tod erlitten. Eine geistig verwirrte Frau, so heisst es in der Presse, habe ihn mit einem Messer erstochen. Ein Schrei sei durch die Kirche gehallt, und die Brüdergemeinschaft habe, um Panik zu verhindern, das Abendgebet fortgesetzt. «Die Zeit» titelte: «Mord, dann Lied 23». Lied 23 – das berühmte «Laudate omnes gentes, laudate dominum»: «Lobt, alle Völker, lobt den Herrn.» Oft habe ich dieses Lied gesungen und an Frère Roger gedacht, den ich als Jugendliche in den Gebetszeiten und Gesprächsrunden als wachen, gütigen und einfachen, durchaus auch charismatischen Mann erlebt habe. Ein Friedensstifter. Ein Versöhner. In seinem Leben findet sich auch jene Spur, die mich seit jeher fasziniert: Mystik und Widerstand als Einheit gelebt. In diesem Geist bleibt Taizé ein Kraftort für mich.

Geneva Moser

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