Synodale lehnen umfassende Missbrauchsstudie ab. Die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz findet vom 9.-11. Juni im Salle du Grand Conseil du Château in Neuenburg statt. Foto: Screenshot

Reformierte lehnen Missbrauchsstudie ab

Prävention statt Aufklärung

Die Sommersynode der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) hat die vom EKS-Rat vorgeschlagene Studie abgelehnt. Stattdessen solle sich der Rat beim Bund für eine nationale Studie einsetzen. Die EKS wird künftig mehr in Prävention investieren.

Andreas Krummenacher und Reto Moser

Die Reformierten tun sich schwer mit dem Thema Missbrauch. Nur vier Monate nachdem die Forum-Studie in Deutschland gezeigt hat, dass Missbrauch auch in den evangelischen Kirchen endemisch ist, sollen die Synodalen in Neuchâtel über die Finanzierung einer eigenen Studie entscheiden. Die Diskussionen und Änderungsanträge sprengten den zeitlichen Rahmen am Montag. Die Entscheidung wurde auf Dienstagmorgen verschoben. Am Ende wurde der Antrag des EKS-Rats, eine Dunkelfeldstudie durchzuführen, deutlich abgelehnt. Stattdessen soll sich der Rat beim Bund für eine solche Studie einsetzen.

Anspannung vor der Synode

Im Vorfeld der EKS-Sommersynode war die Stimmung angespannt. Viele Synodale nahmen ihrer Präsidentin übel, dass sie die Öffentlichkeit vor dem Kirchenparlament informiert hatte. Rita Famos hatte die Missbrauchsstudie Ende April in einem Interview mit der NZZ angekündigt. Mit diesem Schritt wurde medialer Druck aufgebaut, denn der Widerstand innerhalb der EKS, überhaupt eine Studie durchzuführen, ist gross. Die Notwendigkeit einer solchen wird nicht von allen erkannt.

In den Tagen vor Beginn der Sommersynode in Neuchâtel suchten verschiedene Dachverbände die Öffentlichkeit. Während das EKS-Präsidium für die Finanzierung der Studie warb, positionierten sich verschiedene Landeskirchen und der einflussreiche Dachverband «femmes protestantes» dagegen. In der Kritik stand das Studiendesign, die geplante interne Meldestelle, und es wurde vor dem Risiko einer Retraumatisierung der Missbrauchsopfer gewarnt.

Angst vor Imageverlust

Insider:innen befürchteten darum, dass das Projekt scheitern könnte. Um zu vermeiden, dass sie am Ende ohne Ergebnisse vor der Öffentlichkeit stehen, schlug der Berner Synodale Dominik von Allmen-Mäder vor, dass die Delegierten der 25 Mitgliedskirchen am Dienstag einem anderen Antrag zustimmen sollten. Dieser sah vor, dass die Synodalen zunächst über die grundsätzliche Durchführung einer Studie abstimmen, bevor sie über die Finanzierung der vom EKS-Rat vorgeschlagenen Dunkelfeldstudie in Höhe von 1,6 Millionen Franken debattieren.

Konkret schlug die Fraktion der evangelischen Kirche Bern-Jura-Solothurn vor, dass sich die Synode «grundsätzlich» bekennt, «eine Studie in irgendeiner Form in absehbarer Zeit» durchzuführen. Das sei ein wichtiges Signal nach aussen, so Allmen-Mäder. Der Ordnungsantrag, darüber abzustimmen, wurde von den Synodalen jedoch mit 30 zu 29 Stimmen knapp abgelehnt.

Es folgten drei Stunden Debatten, Polemik und Gegenvorschläge zur geplanten Missbrauchsstudie. Immerhin: Alle Redner:innen am Montag bekannten sich zur Notwendigkeit einer Studie. Das ist ein Teilerfolg für Rita Famos. Die vom EKS-Rat vorgeschlagene Studie findet am Ende jedoch keine Mehrheit unter den 25 Mitgliedskirchen. 13 von ihnen lehen sie ab. Die Gegner:innen argumentieren, die Studie sei zu teuer, zu wenig partizipativ, zu langsam und überambitioniert.

Gegenvorschlag kommt durch

Stattdessen haben sie einen Gegenvorschlag ausgearbeitet: Die Studie soll kleiner angelegt werden und sich auf Reformierte beschränken. Eine umfassende Dunkelfeldstudie, die gesamtgesellschaftliche Daten erfasst, soll ihrer Meinung nach der Bund durchführen. Die Reformierten möchten sich vorrangig auf Prävention statt auf Aufarbeitung konzentrieren.

Nicht alles, was die Gegner:innen an der vom EKS-Rat vorgeschlagenen Studie kritisieren, basiert auf Fakten. Manches grenzt an Polemik. Zum Beispiel wenn ein Redner von einem «Basar» spricht, auf dem die Kosten der Studie verhandelt worden seien. Oder wenn eine Zürcher Delegierte dem Patriarchat die Schuld am Missbrauch gibt: 98 bis 100 Prozent der Täter seien Männer. Woher die Zahlen stammen, bleibt unklar, existierende Studien stützen sie nicht.

Die Abstimmung am Dienstagmorgen bringt deutliche Ergebnisse. Die Gegner:innen des Rats-Vorschlags setzen sich auf ganzer Linie durch. 43 der 64 Stimmberechtigten nehmen den Gegenantrag an: Der EKS-Rat soll die Präventionsarbeit in den 25 Mitgliedskirchen unterstützen und fördern und eine externe Meldestelle einrichten. In einer zweiten Abstimmung lehnen 32 Stimmberechtigte die Dunkelfeldstudie ab und verpflichten den EKS-Rat, sich beim Bund für eine landesweite, gesamtgesellschaftliche Missbrauchsstudie einzusetzen.

Nach der verlorenen Abstimmung tritt Rita Famos vor das Kirchenparlament. Sie lobt den konstruktiven Diskurs und das Bekenntnis der Synodalen zur Missbrauchsprävention. Trotz der versöhnlichen Worte der Präsidentin: Die Sorge der Berner Delegation, am Ende der Sommersynode mit leeren Händen in Sachen Missbrauchsaufarbeitung vor der Öffentlichkeit zu stehen, hat sich bewahrheitet.
 

Dunkelfeldstudie
Die vom EKS-Rat vorgeschlagene Dunkelfeldstudie hätte mittels einer repräsentativen Umfrage unter 20’000 zufällig ausgesuchten Menschen Informationen über sexuelle Übergriffe erfassen sollen. Das Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik der Universität Luzern (ZRWP) hätte die Studie leiten sollen. Für die Umfrage wäre das Marktforschungsinstitut Demoscope beauftragt worden. Damit die erhobenen Daten repräsentativ wären, sollten sie sich nicht auf den kirchlichen Kontext beschränken. Die Auswertung der Daten, welche in einem separaten Schritt erfolgen würde, hätte sich dann speziell auf die Strukturen im evangelischen Umfeld konzentrieren sollen. Die Kosten der Studie würden sich laut Offerte des ZRWP auf ca. 1,6 Millionen Franken belaufen haben.

 

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