Matthias Berger, Präsident der Lukasgesellschaft:
«Wir führen jedes Jahr mehrere Bauberatungen durch.» Foto: zVg

Kunst lebt!

Die Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche feiert ihr 100-jähriges Bestehen.

Die Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche (SSL) feiert ihr 100-jähriges Bestehen. In der ganzen Schweiz wird Kunst gezeigt und das Jubiläum mit weiteren Events umrahmt – unter anderem in der Berner Heiliggeistkirche und im Pfarreizentrum St. Josef in Köniz.

Erik Brühlmann und Marius Leutenegger

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten es Kirchenkünstler:innen und -architekt:innen im katholischen Umfeld nicht leicht. Rom pflegte ausgeprägt traditionell-konservative Ansichten, auch was Kirchenbauten und ihre Ausgestaltung anbelangte. Gleichzeitig hatten Kunst und Architektur nach dem Ende des Ersten Weltkriegs neue Zugänge und Ausdrucksweisen gefunden. In der abstrakten Kunst wandte man sich ab vom Gegenständlichen, die Bauhaus-Bewegung verstand sich als Gegenbewegung zur Ästhetik des Historismus.

Aus diesem Spannungsfeld entstand 1919 in Genf die «Groupe de SaintLuc et Saint-Maurice», deren Ziel es war, die Entwicklung religiöser Kunst zu fördern. Sie löste sich fünf Jahre später wieder auf und wurde noch im selben Jahr durch die Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche SSL ersetzt, benannt nach dem Evangelisten.

Lukas gilt als Schöpfer des einzigen Porträts der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. In den Anfangsjahren der Lukasgesellschaft wurden nur katholische Schweizerbürger:innen als Mitglieder aufgenommen. «Es gab aber schon damals auch reformierte Kunstschaffende, die der Lukasgesellschaft nahestanden, auch wenn sie nicht offiziell Mitglieder werden konnten», sagt Matthias Berger, aktueller Präsident der Lukasgesellschaft.

Erst eine Statutenänderung 1958 hob die Beschränkungen auf; heute finden sich unter den Mitgliedern der Lukasgesellschaft Katholik:innen ebenso wie Reformierte und Konfessionslose. Matthias Berger selbst ist hauptberuflich als reformierter Theologe tätig.

Brücken bauen

Die Mitglieder der Lukasgesellschaft verstanden sich nie als «Revoluzzer», sondern viel eher als Brückenbauer. Kirchliche Kunst sollte zwar modern sein, jedoch auch immer im Dienst der Liturgie stehen. «Dennoch waren sie in der Anfangszeit in der katholischen Kirche der Schweiz recht umstritten», sagt Matthias Berger.

Der Westschweizer Flügel der Gesellschaft erhielt zunächst Unterstützung vom kunstaffinen Bischof Marius Besson. «Doch moderne Kunst wurde von den vatikannahen Medien kritisiert, wodurch der Bischof unter Druck geriet», so der Präsident. «Auch die Deutschschweizer Gesellschafts-Mitglieder als Vertretende der neuen Sachlichkeit konnten mit dem Bischof, der doch eher dekorative Kunstformen vertrat, nicht viel anfangen», erzählt Matthias Berger. «Schliesslich gab Besson seine Mitgliedschaft in der Lukasgesellschaft auf.»

Moderne Kirchen von Mitgliedern

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und ganz besonders während des Kirchenbaubooms der 1950er und 1960er erlebte die Lukasgesellschaft ihre Blütezeit. «Man kann wohl mit gutem Gewissen behaupten, dass sogar bis in die 1980erJahre bei den meisten neuen katholischen Kirchenbauten Mitglieder der Lukasgesellschaft involviert waren», so der Präsident.

Bekannte Beispiele sind zum Beispiel die von Fritz Metzger erbaute Kirche St. Karl in Luzern, die heute als Kulturzentrum genutzte und von Hermann Baur gebaute Kirche Don Bosco in Basel oder die Johanneskirche von Walter M. Förderer in Luzern – ein Sichtbetonbau, «den man wohl mit gutem Gewissen dem Brutalismus zuordnen kann», sagt Matthias Berger mit allem Respekt vor dem mutigen Konzept. Im ähnlichen Stil vom selben Erbauer zeigt sich die Kirche Heiligkreuz in der Berner Tiefenau.

Eine der letzten Kirchen, die als Gesamtensemble in der Schweiz erbaut wurde und bei der SSL-Mitglieder beteiligt waren, ist das 1991 eingeweihte kirchliche Zentrum St. Josef in Köniz. Dort wird die Lukasgesellschaft am 31. August ihr Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen offiziell eröffnen.

Nicht mehr bauen, dafür beraten

In jüngster Vergangenheit werden Sakralbauten höchstens noch in Form von Räumen der Stille erbaut. Allerdings sehen sich immer öfter Pfarreien und Kirchgemeinden in der Situation, ihre Sakralbauten baulich oder energetisch sanieren zu müssen oder in die Jahre gekommene Ausstattungen zu ersetzen. Hier bietet die Lukasgesellschaft Hand. «Wir dürfen jedes Jahr mehrere Bauberatungen durchführen», sagt Matthias Berger.

«Ob es um neue Kirchenfenster geht, neues Mobiliar oder tiefergehende Umgestaltungen, wir helfen gern bei der Planung oder beim Jury-Prozess – ohne die Bedingung, dass bei der Umsetzung unsere Mitglieder zum Zuge kommen müssen.» Schliesslich hätten die wenigsten Verantwortlichen in den Gemeinden und Pfarreien das Wissen und die Erfahrung, um solche Projekte im Alleingang auf die Beine zu stellen.

Kunst und Kirche: Das passt!

Der Schwerpunkt der Lukasgesellschaft mit ihren derzeit rund 200 Mitgliedern liegt heute jedoch auf der kirchlichen und spirituellen Kunst. «Das angeschlagene Image der Kirchen bewegt zwar viele Künstlerinnen und Künstler dazu, von der Institution Kirche Abstand zu nehmen», weiss der SSL-Präsident. «Selbst jene, die in ihrer Kunst spirituelle Themen verarbeiten.»

Immerhin: Das Spannungspotenzial mit den Kirchen von damals ist heute nicht mehr vorhanden. «Vielmehr gibt es seit etwa zwei Jahrzehnten seitens von Pfarreien und Kirchgemeinden sogar den Trend, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler einzuladen, ihre Arbeiten als temporäre Interventionen in Kirchenräumen zu präsentieren», sagt Matthias Berger. Darum herum würden oft Gottesdienste oder Bildungsangebote gestaltet.
 

Meine Kunst ist nicht nur für bestimmte Menschen. Ich versuche, sie für alle zugänglich zu machen.

Jo Achermann


Mit ihrem Jubiläumsprogramm bedienen die Verantwortlichen der Lukasgesellschaft eben jenen Trend: Mit verschiedenen Kunstinstallationen und -interventionen in Kirchenräumen von Meride bis Basel und von St.  Gallen bis Sierre präsentieren Kunstschaffende sich, ihre Arbeiten und dadurch die Lukasgesellschaft. «Wir sind froh, dass es uns gelungen ist, fast die ganze Schweiz abzudecken», sagt Matthias Berger. Dem Aufruf zur Mitgestaltung des Jubiläums folgten erfreulich viele Mitglieder, sodass der SSL-Präsident sogar sagt: «Meine Erwartungen wurden wirklich übertroffen!»


«Ein Hauch von Leben»

Einer der «Jubiläumskünstler» ist der in Kirchberg BE geborene Skulpturenkünstler Adrian Bütikofer. Seine Holzskulptur «Ein Hauch von Leben» wird vom 5. September bis zum 3. Oktober in der Zürcher Predigerkirche und vom 17. Oktober bis zum 11. November in der Heiliggeistkirche in Bern auf ihr Publikum warten. Am 5. November findet in Letzterer zudem als Rahmenprogramm unter dem Titel «be:geistern» ein Gesprächs- und Erfahrungsabend um den (Heiligen) Geist statt.

Adrian Bütikofer ist seit 2013 SSL-Mitglied. In der Lukasgesellschaft treffe er einerseits auf Künstlerkolleg:innen, andererseits auch auf Menschen, die ihren Glauben tatsächlich leben. Er selbst sieht sich eher als Zweifler. Dieses Spannungsfeld ist eine der Inspirationsquellen für seine Kunst.

«Ein Hauch von Leben» ist eine rund vier Meter hohe Skulptur aus Holzstäben. Man darf die Skulptur anfassen, aber «spannender ist es, um sie herumzugehen», sagt der Künstler. Bleibt dabei der Blick auf der Skulptur, entstehen Moiré-Muster, die aufeinander zu fliessen. «Das Himmlische von oben und das Irdische von unten begegnen einander in der Mitte», so Bütikofer. Wechselt man die Laufrichtung, ändert sich auch der Effekt: Dann fliessen das Himmlische und das Irdische aus der Mitte heraus voneinander weg.

«Ich wollte die Skulptur für sich sprechen lassen und sie nicht mit zusätzlichen Rahmeninszenierungen überfrachten», erklärt der Künstler die Schlichtheit der Installation. «Je einfacher, desto klarer wird die Botschaft transportiert.» Er hofft, dass sich auch die Pfarrpersonen der beiden Kirchen auf «Ein Hauch von Leben» einlassen und die Skulptur in eine ihrer Predigten integrieren. Prominent genug ist sie auf jeden Fall.


«Schwelle»

Der Bildhauer Jo Achermann denkt ebenfalls in grossen Dimensionen. Seine Skulptur «Schwelle» wird am 31.  August anlässlich der Jubiläumstagung der Lukasgesellschaft im Pfarreizentrum St. Josef Köniz erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 7. September findet ab 10.00 die eigentliche Eröffnungsveranstaltung mit Wort und Musik statt. Anschliessend ist sie dort bis zum 3. November zu sehen – und nicht zu übersehen.

Das Werk aus Holz ist übermannshoch und reicht viereinhalb Meter nach vorn. Zwei Seitenflügel ragen jeweils zwei Meter nach links und rechts. Die Skulptur verdichtet den eigentlich offen gestalteten Eingang zum Kirchenzentrum. Das Publikum hat die Möglichkeit, den semitransparenten «Tunnel» zu benutzen oder einen der beiden schmaleren Seitenflügel. «Oder man kann die ‹Schwelle› ganz umgehen und den Vorplatz der Kirche durchschreiten», sagt Jo Achermann. Wie im Leben muss sich jeder Betrachter, jede Betrachterin den eigenen Weg suchen.

Jo Achermann ist seit Jahrzehnten Mitglied der Lukasgesellschaft. Als Kirchenkünstler oder religiöser Künstler sieht er sich allerdings nicht. «Ich mache meine Kunst nicht für eine bestimmte Gruppe von Menschen», sagt er, «sondern versuche, sie allen zugänglich zu machen.» Weshalb werden seine Skulpturen trotzdem immer wieder in Kirchenräumen gezeigt?

«Ich stelle immer wieder fest, dass kirchliche Themen gleichzeitig menschliche Themen sind», erklärt der Künstler. Die «Schwelle» ist ein typisches Beispiel dafür, sie begleitet den Menschen durchs ganze Leben: die Schwelle der Geburt, jene des Erwachsenwerdens und der Tod sind die drei vielleicht wichtigsten. Dazwischen liegen noch viele weitere, manchmal unscheinbare Schwellen im Leben. Jo Achermanns «Schwelle» lädt die Betrachtenden ein, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und es zu erfahren. Denn Kunst lebt – wie die Lukasgesellschaft auch.


Weitere Infos: lukasgesellschaft.ch

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