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Glückspilz

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Ja, ich könne schon einen Moment bleiben, meint der schwerkranke Mann, nachdem ich mich als für diese Station zuständige Seelsorgerin vorgestellt hatte, Sorgen habe er jedoch keine. Ich schmunzle und schaue in ein Gesicht, das von der Sonne gebräunt und von Lachfalten durchzogen ist.

Ihm gehe es gut, bekräftigt er, aber für seine Frau sei es schwer, und auch seine erwachsene Tochter wünsche sich sehr, dass er nochmal nach Hause zurückkehren dürfe. Er selber fühle sich hier sicher und gut aufgehoben. Nun, da seine Krankheit mit einer solchen Wucht zurückgekehrt sei, würde er am liebsten einfach hierbleiben und die letzten Tage seines Lebens im Spital verbringen. Er sei dankbar für alles, was ihm hier geboten werde.

Seinem Namen mache er ja alle Ehre, sage ich lachend, und er nickt und meint: «Ja, ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben», und dann beginnt er, ein wenig zu erzählen, und scheint am Schluss doch dankbar für dieses Gespräch, das sich nicht um die Sorgen und den Kummer dreht, sondern um das Glück, das gelingende Leben und die Gelassenheit.

Es gibt in unserem Land Menschen, die heissen «Kummer» und es gibt Menschen, die heissen «Glück». Welch ein Unterschied, denke ich und habe zufällig ein Buch in der Tasche, das sich mit Priming-Faktoren und deren Wirkung auf uns beschäftigt. Es macht einen klaren Unterschied, schreibt die Autorin, ob gefragt wird: «Welches Problem wollen Sie heute besprechen», oder «Welche Lösung wollen Sie heute finden?» (Kolodej Christa, Priming – Stärkende Räume entstehen lassen, Springer Fachmedien Wiesbaden 2022, S. 156)

Und dann begegnet mir das Glück nochmal. Es ist Sonntagabend. «Ich bin ein Glückspilz», sagt er zu ihr, «ich habe alles, was ich mir je gewünscht habe: eine Wohnung, eine Werkstatt, eine liebe Frau und zwei glückliche, bereits erwachsene Kinder.»

Heute ist Donnerstag, ich treffe seine Angehörigen auf dem Notfall. Seine Frau erinnert sich an diese letzte Unterhaltung am Sonntagabend. Jetzt ist sie in grösster Sorge. Seit Montag sei es ihm nicht mehr gut gegangen, er habe sie aber immer beschwichtigt. Heute Mittag, als sie von der Arbeit nach Hause kam, musste sie den Notruf kontaktieren, das war ihr sofort klar. Als die Sanitäter:innen ankamen, war er schon nicht mehr bei Bewusstsein, und auch sie selber konnte seither nicht mehr mit ihm reden. Er verstarb noch am gleichen Tag.

Woher kommt das Glück und wohin geht es, wenn es uns verlässt?

Simone Bühler, Seelsorgerin im Inselspital

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