Der Jesuit Toni Kurmann leitet das Lassalle-Haus iin Bad Schönbrunn. Foto: zVg

«Es ist an der Zeit, die Methode zu ändern»

Der Jesuit Toni Kurmann setzt auf den Heiligen Geist

Im synodalen Prozess ist viel vom Heiligen Geist die Rede, ebenso vom geistlichen Gespräch. Diese Methode hat das Potenzial, aus Pattsituationen herauszuführen und verhärtete Positionen zu überwinden, ist der Jesuit Toni Kurmann* überzeugt.

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Papst Franziskus sagt, im Zentrum des synodalen Prozesses stehe der Heilige Geist. Wie ist das zu verstehen?

Toni Kurmann: Der Heilige Geist ist die dynamisierende Erfahrung Gottes, die wir machen. In der biblischen Tradition ist er diejenige Kraft Gottes, die Augen öffnet und Perspektiven erweitert. Der Heilige Geist lädt ein, die Methode zu ändern, wenn man zum Beispiel in einer Pattsituation nicht weiterkommt.

An der Synode wird die Methode des geistlichen Gesprächs angewendet. Ein dreistufiges Modell, das geprägt ist von aktivem Zuhören, aus dem Herzen sprechen und Stille. Können Sie das erläutern?

Jede Gesprächsgruppe hat eine:n Moderator:in. Diese:r hat die Aufgabe, die Disziplin zu gewährleisten, damit die Gesprächszeit eingehalten wird, also Vielredner:innen zu bremsen und Schweigende zu ermuntern. In der ersten Runde darf jede:r erzählen, was ihn oder sie zu einem konkreten Thema bewegt.


Nehmen wir als Beispiel die Frauenordination.

Es geht um meine persönliche Stellungnahme dazu. Ich darf sprechen, ohne die fünf letzten wissenschaftlichen Thesen zu diesem Thema zu kennen. Das gibt der Position von Menschen, die sich selber nicht kompetent erleben, Raum und Anerkennung. Jene, die wenig Mut haben, sich zu artikulieren, bekommen immerhin die Einladung dazu.

Es folgt eine Stille. Was geschieht da? Warum diese Stille?

Stille schafft Raum, um nachzuspüren. Das Gehörte kann sich setzen. Sie gibt den nicht so schnellen Menschen die Gelegenheit, ihre Gedanken zu ordnen. Unterbrechung schafft Raum, damit die Dynamik wieder neu ansetzen kann.

Im Vademecum zur Synode heisst es, dass wir im geistlichen Gespräch die Stimme des Heiligen Geistes wahrnehmen. Woran erkenne ich, ob der Heilige Geist aus jemandem gesprochen hat?

In der ignatianischen Tradition, aus der diese Methode stammt, kennt man die «Unterscheidung der Geister». Als Zuhörende haben wir ein Gefühl dafür, ob das Gegenüber authentisch ist, ob er oder sie aus einer gewissen Inspiration spricht und ob der Beitrag grundsätzlich Perspektiven eröffnet. Das sind mögliche Kriterien. Wenn so ein Prozess nur destruktiv ist, kann er nicht von der Geistkraft Gottes inspiriert sein.

Wie geht der Prozess nach der Stille weiter?

In der zweiten Runde kann man auf Aussagen von anderen reagieren. Wenn jemand sich für die Frauenordination ausgesprochen hat, kann ich beispielsweise sagen: «Ich habe es gehört, es provoziert mich massiv. Aufgrund der Tatsache, dass das immer wieder kommt, muss ich jedoch davon ausgehen, dass das Relevanz hat.» Wenn wir bei den einzelnen Positionen stehen bleiben, heisst es rasch: «Nur wer für die Ordination der Frauen ist, hat verstanden.»
Damit setzt man die anderen herab. Natürlich ist das eine herausfordernde Übung, doch wenn Menschen aus radikal verschiedenen Lagern überhaupt in diese Ehrlichkeit finden, ist das ein Riesengeschenk. Über solche Methoden können alte Stellungsbezüge sich zumindest leicht verändern.

Aber das bedingt, dass alle für einen Moment die eigenen Interessen zurückstellen, damit der Heilige Geist quasi einen Ausweg aus der Pattsituation finden kann.Wichtig ist, dass man die andere Person aussprechen lässt, dass Botschaft und Absender:in zusammen gesehen werden. Wenn mich der Absender, die Absenderin überzeugen kann, weil er oder sie authentisch, inspiriert und konstruktiv ist, dann höre ich schon einmal anders hin, als wenn jemand sagt: «Eigentlich vertrete ich das Lehramt und du bist ein dumpfer Mensch.»

Als dritte Stufe braucht es eine Form der Einigung, meist in Form eines Berichts.

Es kommt darauf an, was die Aufgabe der Gruppe ist. Wenn man mit einer Pattsituation begonnen hat, dann wird diese Gruppe ihre Einsichten, auch die Einsichten der Unterschiede, in den Bericht einbringen. Wenn es grössere Versammlungen sind, bringen Untergruppen ihre Einsichten in das grössere Plenum ein


Am Ende dieses ganzen Prozesses wird der Papst die kirchenrechtlich verbindlichen Entscheidungen treffen. Wie kann das Kirchenvolk sicher sein, dass der Heilige Geist auch aus der Entscheidung des Papstes spricht?

Wie kann ich sicher sein, dass die von mir gewählten Stände- und Nationalrät:innen in meinem Sinn abstimmen? Auch die Synode funktioniert nach dem Delegationssystem. Nicht alle Getauften können in der Synodenaula dabei sein. Ich kann nur darauf vertrauen, dass Helena Jeppesen, Felix Gmür und alle Schweizer Delegierten uns mit vertreten.

Ich sehe die Chancen dieser Methode. Es dauert allerdings sehr lange, bis man auf diesem Weg zu Entscheidungen kommt. Im Fall der Synode mehr als drei Jahre.

Wie viele Jahrzehnte diskutiert die katholische Kirche schon über die Frauenordination oder den Zölibat? Irgendwann ist es an der Zeit, die Methode zu ändern. Das halte ich für sinnvoll investierte Zeit.

Ist der ständige Verweis auf den Heiligen Geist nicht auch eine wunderbare Möglichkeit, nichts Konkretes sagen zu müssen und strukturelle Veränderungen auf die lange Bank schieben zu können?

Frömmigkeit war immer wieder eine Weise, Menschen zu manipulieren. Wenn der Synodale Weg als «Opium für die Getauften» verwendet wird, dann ist er weder authentisch noch inspiriert noch zukunftsorientiert. Natürlich kann auch der Synodale Weg schiefgehen, trotz allem Risiko vertraue ich auf das Potenzial.

Nicht alle Menschen, auch die getauften, können mit diesem Heiligen Geist etwas anfangen. Ist diese Methode also nichts für sie oder kann man das auch anders erklären?

Ich kann den Begriff «Heiliger Geist» oder «Geistkraft» umformulieren als dynamische Dimension Gottes. Dynamisch sein wollen wir alle. Man kann auch den Begriff «Stille» verwenden. Stille hat eine immense Kraft. Stille bewegt und ist eine säkulare Ausdrucksform für «Raum geben für das, was mich dynamisiert».

Im Kontext der Synode wird immer wieder gesagt, eine Synode sei kein Parlament. Wo ist der Unterschied?

Bei dieser Frage kommt mir eine Karikatur in den Sinn: Vier Landtiere und drei Fische müssen miteinander abstimmen, ob man einen Teich trockenlegt. Das ist für mich ein Zerrbild für Demokratie, die nur interessengeleitete Sachfragen im Blick hätte. Die Geistkraft hält darüber hinaus die Frage wach: Wie schaffen wir einen Lebensraum für alle? Für uns als demokratisch verfasste Kultur ist das eine grosse Herausforderung.

Auch in einem Parlament gibt es Minderheitenschutz. Das könnte in diesem Fall heissen, dass das Existenzrecht einer Spezies nicht gefährdet werden darf.

Genau. Ich hoffe, dass der synodale Prozess diesen dynamischen Raum öffnen kann, dass wir die Lebensräume aller entdecken und nicht einfach beim Positionellen stehen bleiben.

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