Für alle eine bereichernde Erfahrung. Sr. Marthe-Françoise Bammert mit Mariia und ihren beiden Söhnen vor der Villa Maria. Foto: Vera Rüttimann

«Eine beeindruckende und bereichernde Erfahrung»

Ein Besuch bei den ukrainischen Familien in der Villa Maria

Im März 2022 fanden drei traumatisierte ukrainische Familien in der Villa Maria in Bern ein Dach über dem Kopf. Vieles ist seit dem geschehen. Ein Besuch.

Vera Rüttimann

Sr. Marthe-Françoise Bammert sitzt mit Mariia und ihren beiden Kindern bei Kaffee und Biscuits am Tisch in der Villa Maria. Diese ukrainische Familie kommt immer noch regelmässig in diese schöne Jugendstilvilla. Seit ein paar Monaten hat Mariia mit ihren beiden Kindern, Sviatoslav (13) und Olexandr (9), eine Dreizimmerwohnung in der Nähe der Villa Maria gefunden. Das sei ideal, denn die Schule, die die beiden Kinder besuchen, ist gleich um die Ecke. Sie haben deutschen und ukrainischen Unterricht. «Sie müssen viele Fächer lernen», weiss Mariia. Sie fügt an: «Es geht uns besser nach zwei Jahren, aber die Situation in der Ukraine belastet uns sehr.» Ihr Bruder sei noch immer an der Front.

«Wie ein Paradies»

Die Hausleiterin der Villa Maria kann sich noch lebhaft erinnern, als die drei Familien vor zwei Jahren hier angekommen sind. Sie haben viel Traumatisches erlebt. Mariia etwa flüchtete mit ihren zwei Kindern über Rumänien und Italien in die Schweiz, nachdem in ihrer Wohnung eine Granate einschlug. In Bern wartete ihr ältester Sohn Yuri auf sie, der aufgrund seines Studiums schon hier lebte.


Platz fanden Mariia mit ihren zwei Jungs und die anderen beiden Familien in je einem grossen Zweierzimmer, die normalerweise von Studentinnen bewohnt werden.

Mariia erinnert sich: «Nach schwierigen Tagen im Migrationscenter war die Villa Maria für uns ein Paradies.» Beide Seiten mussten sich erst aneinander gewöhnen. «Untergebracht bei Schwestern! Das war für sie sehr speziell. Wir mussten ihnen erst sagen, dass sie sich normal verhalten dürfen und sich nicht in Stillschweigen hüllen müssen», erinnert sich Sr. MartheFrançoise lachend.

Musik als Therapie

Mariia, ausgebildete Violinistin, fand nach ihrer Flucht nach Bern schnell Erfüllung in der Musik. Mehr noch: Trost und Halt. Sie spielt heute in neuen Orchestern wie dem Symphonieorchester in Bern und beteiligt sich an verschiedenen musikalischen Projekten wie etwa im Stadtorchester Solothurn. In ihrem zusätzlichen Beruf ist sie Oper-Dirigentin. So leitete sie das Misericordia Orchester, als im Sternensaal Bümpliz in Bern Mozarts «Così fan tutte» aufgeführt wurde. «Viele Ukrainerinnen arbeiten nicht und sprechen auch nicht Deutsch. Sie sitzen zu Hause und gehen nicht raus», weiss Mariia. «Ich kann mich mit meiner Musik ausdrücken.»

Ukrainer-Treff «Dreif»

Seit zwei Jahren geht Mariia jeden Sonntagmorgen zum Gottesdienst für die Ukrainer:innen in der Dreifaltigkeitskirche. «Für uns ist es wichtig, dass wir unsere Gebete und Gesänge in der ukrainischen Sprache pflegen können. Die Kirche hilft uns dabei sehr», sagt Mariia. Ebenso wichtig ist für sie das anschliessende Treffen in einem Raum der Dreif. «So kann ich mein soziales Netzwerk pflegen, welches ich mir hier aufgebaut habe. Ein sehr wichtiger Treffpunkt für unsere ukrainische Community», betont sie.

Hier frage man nach dem Befinden des anderen. Sie habe festgestellt, dass sich viele Ukrainerinnen in diversen Chören engagieren. Mariia selbst singt seit zwei Jahren unter anderem in einem Frauenchor in der Pauluskirche während Messen und Konzerten.

Schritt für Schritt

Mariia arbeitet nun am nächsten Schritt: eine bezahlte Arbeit. «Ich spiele Musik, das ist gut. Aber werde leider dafür nicht bezahlt», sagt sie. Sie sei dankbar für den «gut funktionierenden Sozialstaat Schweiz». Jetzt aber möchte sie unbedingt arbeiten. Zusammen mit einem Job-Coach vom Sozialdienst arbeite sie nun darauf hin, einen bezahlten Job zu finden. «Mein Ziel ist es, dass ich Musik unterrichten kann. Dafür muss ich aber noch besser Deutsch lernen.» Bald wird sie das Zertifikat B2 in der Tasche haben. Sie will noch besser werden. Dafür besucht sie jeden Tag die Sprachschule. Mariia sagt: «Als ich hier ankam, konnte ich kein Wort Deutsch. Ich bin sehr motiviert.» Mariia möchte mit ihren zwei Kindern vorerst in der Schweiz bleiben.

Schweiz–Ukraine–USA

Von den drei Familien, die im März 2022 in der Villa Maria aufgenommen wurden, fanden alle in der Jugendstilvilla ein vorübergehendes Zuhause. Die Kinder der beiden Mütter Olha und Lyudmila waren schwer krebskrank. «Sie wurden im Inselspital medizinisch sehr gut behandelt und beide Kinder konnten glücklicherweise geheilt werden», sagt Sr. Marthe-Françoise. Sie erinnert sich an das dreijährige Kind Mattvi: «Nach der Chemo war es jeweils sehr geschwächt und weiss wie Kreide. Wir waren so froh, dass er es geschafft hat.»


Am Weihnachtstag 2022 erlebte Sr. Marthe-Françoise eine grosse Überraschung: «Ich wollte der Familie von Lyudmila zu Weihnachten ein Geschenk in ihre Wohnung bringen. Da entdeckte ich das gesamte Reisegepäck im Flur. Mama Lyudmila und ihre Kinder waren gerade dabei, zurück in die Ukraine zu reisen.»

Die Schwestern sind mit Ohla und ihrer Familie in regelmässigem Kontakt. Ohla kehrte mit ihren beiden Kindern im Januar 2023 in ihre Heimat zurück. Das Leben war in der Ukraine durch den ständigen Bombenalarm allerdings unaushaltbar geworden. Da schon die Eltern von Ohla in die USA ausgewandert waren, folgte sie ihnen mit ihrer Familie nach. Sr. MartheFrançoise sagt froh: «Es geht ihnen dort allen gut.»

Die Schwestern der Villa Maria erhielten 2022 mit den drei ukrainischen Flüchtlingsfamilien eine Art «Überraschungspaket». Sr. Marthe-Françoise erinnert sich: «Wir wussten gar nicht, was auf uns zukommt. Heute kann ich sagen: Es war für uns alle eine beeindruckende und sehr bereichernde Erfahrung.»

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