Über eine nette Geste darf man sich einfach freuen. / Foto: iStock

Ein guter Maikäfer

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Als ich vor ein paar Tagen einmal auf einem der vielen Gänge durchs Insel­spital unterwegs war, sah ich einen Mann, der sichtlich verloren umher­schaute. Es ist auch nicht einfach, sich an der Insel auf Anhieb zurechtzufin­den. Die Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden sind so ge­schickt miteinander verbunden, dass es einem oft gar nicht auffällt, dass man schon im nächsten ist. Und dass zwei Gebäude denselben Vornamen tragen, ist für die Orientierung auch nicht ge­rade hilfreich.

So war es für mich selbstverständ­lich, dass ich diesen Mann darauf an­ sprach, ob er etwas suche. «Ja, ich suche den Ausgang, ich möchte hier raus», gab er ein bisschen hilflos zur Antwort. «Möchten Sie zum Hauptaus­gang oder möchten Sie beim nächsten hinaus, das wäre ein paar Stöcke weiter unten beim Notfall?», fragte ich zurück. «Ich muss zum Bahnhof», meinte er.
Ich erklärte ihm, dass vor dem Insel­spital ein Bus Richtung Bahnhof fahre und ich ihm den Weg dahin kurz zeigen würde. Auf dem Weg zum richtigen Lift ging unsere kurze Unterhaltung weiter: «Dass Sie sich hier auskennen», meinte er erstaunt. «Ich arbeite hier», erwider­te ich.

«Ja, was sind Sie denn? Ein guter Maikäfer? – Es ist doch noch Mai, oder?», fragte er mich. Ab dieser Be­zeichnung musste ich herzhaft lachen. So hat mich noch nie jemand genannt und ich bedankte mich gut gelaunt für sein Kompliment.

Diese kurze Begegnung blieb mir hängen und regte mich zum Nach­denken an. So einfach fällt es mir nicht immer, ein Kompliment anzunehmen. Warum eigentlich? – Oft relativiere ich oder schwäche ein Kompliment ab. Manchmal, weil ich etwas als selbstver­ständlich (und damit als nicht erwäh­nenswert) ansehe, manchmal, weil ich das Gefühl bekomme, ich müsse die Aussage sofort in einen grösseren Zu­sammenhang stellen oder einfach, weil es mich verlegen macht.

Doch warum ein Kompliment so schwernehmen? Es fällt mir einfacher, es anzunehmen, wenn ich die Leichtig­keit darin sehe: Es ist ein Türöffner, ein Kontaktangebot, eine Momentaufnah­me, ein Ausdruck von Freude, eine Re­aktion auf etwas Positives an mir oder auf etwas, das ich getan habe. Eine nette Geste. Und darüber darf ich mich einfach freuen.

Martina Wiederkehr-Steffen, Seelsorgerin im Inselspital

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