«Das zu lesen, war ein Schlag ins Gesicht». Denise Nussbaumer. Foto: Esther Michel

Denise Nussbaumer: «Bischof Gmür hat nichts gelernt»

Das Bistum Basel hat im Missbrauchsfall «Nussbaumer» gravierende Fehler gemacht. Nun wird der zuständige Verfahrensleiter befördert.

Das Bistum Basel hat im Missbrauchsfall «Nussbaumer» gravierende Fehler gemacht. Trotz einer Verwarnung des Vatikans soll der damals zuständige Kirchenjurist befördert werden. «Das zu lesen, war ein Schlag ins Gesicht», sagt die Betroffene.

Interview: Annalena Müller

Denise Nussbaumer, die in Wirklichkeit anders heisst, wurde in den 1990er Jahren als Minderjährige von ­einem Priester missbraucht. Als dieser 2019 den Kontakt zu ihr sucht, wendet sie sich an das Bistum. Es folgt eine Odyssee durchs Kirchenrecht, das von den zuständigen Personen falsch oder nicht angewandt wird. Erst als das Magazin «Beobachter» im Sommer 2023 Druck macht, meldet Bischof Felix Gmür den Fall nach Rom. Wenige Wochen vor Veröffentlichung der Missbrauchsstudie wird das Lavieren der Bistumsverantwortlichen publik. Und löst ein mediales Erdbeben aus.

«pfarrblatt»: Vor einem Jahr wurde Ihr Fall einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Wie geht es Ihnen heute?

Denise Nussbaumer*: Können wir mit ­einer leichteren Frage beginnen?

Vor allem der unprofessionelle Umgang des Bistums Basel mit Ihrem Fall hat grosse Aufmerksamkeit erregt. Der Umgang der Verantwort­lichen zeigte systemische Probleme auf, die kurz darauf auch von der Missbrauchsstudie thematisiert wurden. Hat das Bistum aus seinen Fehlern gelernt?

Nussbaumer: Es gibt zumindest gute Ansätze. Das Bistum Basel kommuniziert seither proaktiv. Als Bischof Felix Gmür im Frühjahr wegen der Handhabung meines Falls vom Vatikan verwarnt wurde, wurde das kommuniziert. Das ist ein positives Zeichen. Was den grösseren Kontext angeht, sehe ich momentan vor allem Pläne. Pläne für eine Meldestelle, ein unabhängiges Strafgericht …

… Nichts davon ist bisher umgesetzt.

Nussbaumer: Das finde ich bedauerlich und nur bedingt nachvollziehbar. Die Schweiz ist in der komfortablen Lage, sich an anderen Ländern orientieren zu können, die sich schon länger mit dem Themenkomplex «Missbrauch im kirchlichen Umfeld» befassen. Gerade Deutschland funktioniert in vielem ähnlich. Dass die Schweiz jetzt scheinbar trotzdem bei null an­fangen will, finde ich problematisch. Und auch, dass ein Jahr nach dem 12. September immer noch nichts steht. Zumindest unabhängige Anlaufstellen hätte es bereits vor einem Jahr geben müssen. Denn auch das wusste man aus anderen Ländern: Wenn über Missbrauch berichtet wird, dann melden sich weitere Betroffene. Man hätte über Strukturen verfügen müssen, welche die Leute professionell auffangen und betreuen können.

Das Bistum hat Anfang Juli bekannt gegeben, dass der heute pensionierte Untersuchungsleiter, der Ihren Fall 2019/2020 falsch behandelt hat, ­Ehrendomherr wird. Was macht ­diese Ankündigung mit Ihnen?

Nussbaumer: Das zu lesen, war ein Schlag ins Gesicht. Da bekommt jemand einen Ehrentitel verliehen, der nachweislich grobe, ja ­dilettantische Verfahrensfehler gemacht hat. Dass es sich hier um grobe Fehler handelt, ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern auch die verschiedener internationaler Kirchenrechtler – darunter Professor Thomas Schüller –, die ich konsultiert habe. Und der Vatikan hat Bischof Gmür wegen der Handhabung meines Falls sogar verwarnt. Diese Ernennung heisst für mich, im Bistum Basel gibt es keine Lernkurve.
 

Automatismen kann man stoppen. Und das hätte hier geschehen müssen.


Dass ein Domherr nach seinem Rücktritt zum Ehrendomherren wird, ist ein Automatismus. ­Ändert das etwas an Ihrer Einschätzung?

Nussbaumer: Nein, das ändert nichts. Es gibt so viele Automatismen in der katholischen Kirche. Fehler von Amtspersonen, selbst massive, bleiben am Ende ohne Folgen. Es gibt einen Untersuchungsleiter, der erwiesenermassen gepfuscht hat – und es bleibt ohne Konsequenzen. Es gibt eine Mahnung des Vatikans, aber der Untersuchungsleiter a. D. wird trotzdem befördert. Dass es sich bei der Beförderung um einen vor allem symbolischen Ehrentitel handelt, spielt dabei keine Rolle. Auch nicht, dass diese Ernennung ein Automatismus ist. Automatismen kann man stoppen. Und das hätte hier geschehen müssen.

Sie haben Kirchenrechtler im In- und Ausland die Akten ihres Falls prüfen lassen. Deren Voten war einstimmig: Die Verfahrensfehler waren enorm und sie sind sehr gut dokumentiert. Heisst das, dass Ihr Fall kirchenrechtlich nochmals aufgerollt wird?

Nussbaumer: In dieser Frage liegt der Ball momentan bei mir. Ich müsste Bischof Gmür bitten, in Rom eine Aufhebung der Verjährung zu beantragen.


Der Missbrauch ereignete sich in den 1990er Jahren und ist straf- sowie kirchenrechtlich verjährt, obwohl Sie damals minderjährig waren.

Nussbaumer: Im Kirchenrecht ist eine Aufhebung der Verjährung unter bestimmten Bedingungen möglich. Damit ein solcher Antrag überhaupt Chancen hat, müsste ich weitere vom gleichen Priester missbrauchte Personen finden. Das versuche ich gerade. Aber es ist schwierig – emotional und logistisch. Deshalb habe ich mich im August mit meinem kirchenrechtlichen Vertreter schriftlich an Bischof Gmür gewandt und das Bistum in dieser Angelegenheit um Unterstützung gebeten.

Unterstützung bei der Suche nach anderen Betroffenen?

Nussbaumer: Ja. Der Täter war an verschiedenen Orten in der Schweiz, aber auch im süddeutschen Raum tätig. Ich habe keine Möglichkeiten, herauszufinden, wo oder wann das war. Das Bistum kann gezielt nachfragen, wenn es das möchte. Aber es geht in dem Schreiben auch um den ehemaligen Offizial. Ich stelle Bischof Gmür die Frage, ob er es als ein Handeln im Sinne der von ihm oft zitierten Opferperspektive erachtet, wenn ausgerechnet dieser Offizial einen Ehren­titel erhält.

Haben Sie schon eine Antwort erhalten?

Nussbaumer: Nein, aber es ist dafür auch noch zu früh.

Was könnte oder müsste die Amts­kirche tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und zu zeigen, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hat?

Nussbaumer: Ich finde das eine schwierige Frage. Ich habe mich 2019 recht vertrauensvoll und, rückblickend, wohl auch naiv an die Kirche gewandt. Weil mein Fall so gut dokumentiert ist, ging ich davon aus, dass man mich ernst nehmen und ich Gerechtigkeit finden würde. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung habe ich heute allerdings Mühe, zu glauben, dass die Institution katholische Kirche den richtigen Weg finden wird. Das Einzige, was mir die Hoffnung zurückgäbe, wäre, wenn die Amtskirche den Betroffenen wirklich helfen würde. Von den Verantwortungsträgern hören wir viele schöne Worte. Allein, die Taten bleiben aus. Wenn Taten folgen würden – ein wirkliches Ernstnehmen der Betroffenen, Rechenschaftspflicht und ein Ende dieser Automatismen –, ich glaube, das würde vielen Leuten Hoffnung geben. Vielleicht auch mir.


*Name geändert

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